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Ist der Muskel- und Proteinabbau während des Langzeitfastens bei gesunden Männern relevant?

Eine prospektive Studie zur physiologischen Anpassung an das Fasten

Datum: 04.11.2021
Ist der Muskel- und Proteinabbau während des Langzeitfastens bei gesunden Männern relevant?
Buchinger Wilhelmi

16 gesunde, nicht adipöse Männer fasteten 10 Tage nach dem Programm der Buchinger-Wilhelmi-Kliniken. Dies beinhaltete die tägliche Aufnahme eines proteinfreien Fastenzusatzes von 200–250 kcal/Tag in Form von Säften und Gemüsebrühen. Die Probanden absolvierten außerdem täglich ein dreistündiges moderates Bewegungsprogramm.

Der Gewichtsverlust von durchschnittlich 5 kg (± 2 kg) resultierte zu 40 % aus dem Abbau von Fett, zu 25 % aus dem Abbau von Proteinen (aus stoffwechselaktiven Geweben wie Leber, Nieren, Milz, Darmschleimhaut, Herz und Skelettmuskulatur) und zu 35 % aus Wasserverlust. Protein- sparmechanismen setzten nach wenigen Tagen ein und bestanden hauptsächlich in der Nutzung von Ketonkörpern als Brennstoff für das Gehirn.

In unserer Studie konnten wir dokumentieren, dass die Muskelbeteiligung wahrscheinlich geringer ist, als lange befürchtet wurde, und dass Muskeln nach dem Fasten ebenso wieder- aufgebaut werden wie andere Organgewebe. Nicht nur blieb ein „Muskelschwund“ aus, die Leistungsfähigkeit der Muskulatur der unteren Extremitäten verbesserte sich nach dem Fasten sogar signifikant, und die der übrigen Muskulatur blieb erhalten. Wie wir in unseren vorausgegangenen Publikationen belegt haben, ist das bei Buchinger Wilhelmi eingesetzte Fastenprogramm ein sicherer Ansatz zur Prävention von alterungsbedingten Erkrankungen wie Adipositas, Diabetes mellitus Typ 2 und anderen Stoffwechselstörungen sowie chronisch- entzündlichen Erkrankungen und oxidativem Stress.

Bei älteren Menschen mit Untergewicht und degenerativem Muskelabbau ist dennoch Vorsicht geboten.

Derzeit werden weitere Studien durchgeführt, um zu evaluieren, in welchem Umfang die verschiedenen stoffwechselaktiven Gewebe – u.a. Leber, Niere, Darmschleimhaut sowie die Muskulatur – am fastenbedingten Proteinabbau beteiligt sind und wie schnell sich diese Proteinstrukturen und Zellen durch Neusynthese und aus Stammzellen regenerieren, sobald wieder Nahrung zugeführt wird.
Der Proteinabbau, der durch die negative Stickstoffbilanz dokumentiert wurde, nahm aufgrund der einsetzenden Proteinsparmechanismen von Tag zu Tag ab. Dabei reduzierte sich ein Marker des Muskelproteinabbaus, das 3-Methylhistidin, ab dem 5. Fastentag. Andere Marker der Proteolyse wie GOT und Kreatinin bestätigen diese Beobachtung. Nach dem Fasten, wenn dem Körper wieder Nahrung zugeführt wird, nimmt das Myostatin signifikant ab, wodurch der Wiederaufbau der Muskelmasse gefördert wird.

Von den weiteren Parametern, die in dieser Studie gemessen wurden, sind hervorzuheben: Das physische und das emotionale Wohlbefinden steigerten sich während des Fastens signifikant, das Hungergefühl nahm ab. Die Leptinwerte sanken; andere appetitassoziierten Parameter veränderten sich nicht signifikant. Die Glukosewerte sanken ebenfalls und blieben im unteren Normbereich. Der Insulinspiegel sank ab dem 1. Fastentag, ebenso sanken IGF-1, Cortisol und Gamma-GT, und die Proteinoxidation nahm ab. Der Spiegel der freien Fettsäuren im Blut stieg in den ersten Stunden des Fastens an, gefolgt von ß-Hydroxybuttersäure. Apelin, eine Substanz, die die Mobilisation von Fett aus dem Muskel fördert, nahm massiv zu. Die Entzün- dungsparameter sanken vorübergehend, kehrten dann zu den Ausgangswerten zurück und erhöhten sich durch die Zufuhr von Nahrung nach Beendigung des Fastens sogar.

Nach drei Monaten erfolgte eine erneute Untersuchung. Der Allgemeinzustand der Probanden war gut. Das Körpergewicht war niedriger als zu Fastenbeginn, entsprechend geringer war auch die fettfreie Masse. Werte, die sich fastenbedingt vorübergehend erhöht hatten, waren zur Ausgangshöhe zurückgekehrt.

Unsere 10-tägige Fastenstudie an 16 gesunden, normalgewichtigen Männern dokumentierte:
  • dass bereits nach einigen Stunden, wenn die Glykogenreserven in der Leber aufgebraucht sind, Fett aus den körpereigenen Depots sowie Ketonkörper die Hauptbrennstoffe des Fastenstoffwechsels darstellen – dies führt zu einer Stoffwechselumstellung: statt Nahrungs- glukose werden Fett und Ketonkörper genutzt;
  • dass der Proteinverbrauch während des Fastens als Energiesubstrat eine eher untergeord- nete Rolle spielt, obwohl kein Protein zugeführt wird. Die fastenbedingte Proteolyse stellt womöglich die Vorstufe einer beschleunigten Zell- und Zellstrukturregeneration dar;
  • dass die Stoffwechselumstellung vollständig reversibel ist, sobald wieder Nahrung zugeführt wird;
  • eine Gewichtsreduktion von durchschnittlich 7 % (5 kg ± 2 kg), wobei 40 % des Gewicht- verlusts auf den Abbau von Fett, 25 % auf den Abbau von stoffwechselaktivem Gewebe (Muskeln, aber auch Leber, Nieren, Milz, Darmschleimhaut, Herz und andere Organe) und 35 % auf den Verlust von extrazellulärem sowie glykogen- und proteingebundenem Wasser zurückzuführen sind.
  • Der jeweilige Beteiligungsgrad der unterschiedlichen stoffwechselaktiven Gewebe konnte nicht näher bestimmt werden, verschiedene aussagekräftige Parameter deuten jedoch auf eine geringere Beteiligung der Muskulatur hin.
  • Muskelfunktion und Leistungsfähigkeit der Muskulatur blieben erhalten bzw. verbesserten sich sogar im Bereich der unteren Extremitäten.


Claire Laurens, Franziska Grundler, Anthony Damiot, Isabelle Chery, Anne-Laure Le Maho, Alexandre Zahariev, Yvon Le Maho, Audrey Bergouignan, Guillemette Gauquelin-Koch, Chantal Simon, Stéphane Blanc, Françoise Wilhelmi de Toledo: „Is muscle and protein loss relevant in long-term fasting in healthy men? A prospective trial on physiological adaptations“.
doi: 10.1002/jcsm.12766